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Mikroabenteuer

Der Begriff Mikroabenteuer findet immer mehr Freunde. Ich weiß nicht so richtig etwas damit anzufangen. Er geistert durch die sozialen Netzwerke, durch Outdoor-Literatur und verbreitet sich auch in den traditionellen Medien. Blogger stürzen sich wie ausgehungerte Geier auf Mikroabenteuer und machen sie zu einem neuen Konsumgut. Ich habe mir das Wort ja schließlich auch auf die Fahnen geschrieben, möchte es aber ein wenig anders definieren. Mikroabenteuer sind für mich das Abenteuer, mir meiner Umgebung bewusst zu werden und zu entdecken, wo das raue Wesen der Umwelt verborgen ist. Zu erkunden, wo die Dinge aufhören, bekannt zu sein und wo sie anfangen, fremd zu werden.

Der Begriff Mikroabenteuer

Der Begriff Mikroabenteuer geht auf den 1976 geborenen Abenteurer Alastair Humphreys zurück. Es ist eine Übersetzung des von ihm geprägten Begriffs Micoadventure. Allerdings ist es für sich genommen relativ aussagelos. Er sagt in etwa, das Mikroabenteuer hätte die folgenden Eigenschaften:

  • Es ist ein richtiges Abenteuer
  • Es ist nicht weit weg
  • Es kostet nicht viel
  • Es findet irgendwo draußen statt
  • Es dauert nicht lang

Da kann man jetzt also ziemlich viel philosophieren, ab wann ein bestimmtes Ereignis ein Mikroabenteuer ist. Zunächst einmal müsste geklärt werden, was überhaupt ein Abenteuer ist. Ich schaue mir also den Duden an. Der sagt mir, ein Abenteuer ist dann ein Abenteuer, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (selbst kannst du das auf der Webseite des Dudens nachlesen):

  1. Ein außergewöhnliches, erregendes Geschehen oder Erlebnis,…
  2. …das irgendwie riskant ist.

Aha. Demnach wäre alles ein Mikroabenteuer, was Spaß macht, anders ist als die anderen Sachen, die man so macht und das klein und gefährlich ist. Sind wir jetzt viel klüger? Nein.

Packen wir es von der anderen Seite aus an. Mitteleuropa, normaler desillusionierter Bequemlichkeitsmittelstand. Normaler Job, normales Einkommen, normale Partnerschaft, normale Freunde, normale Hobbys. Folglich: mit weit offenem Mund gähnende Langeweile. Ursprünglich (eventuell vom Herrgott) erschaffen, um in Wäldern Beeren zu sammeln und uns bei Gewittern vor Angst in einer Höhle zu verkriechen. Jetzt natürlich sinnlich vollständig unterfordert, äußert sich der angestaute Frust entweder in einer Depression, in Lethargie, in Alkoholismus oder ausschweifendem Nachtleben, was spätestens dann zu Ende ist, wenn die ersten Kinder auf die Welt kommen und der Sinnlosigkeit ein scheinbares Ende setzen.

Oder wir fangen an, exzessiv um die Welt zu reisen, was in den letzten Jahren zunehmend deutliche Spuren auf dem Erdball hinterlässt. Zeit für eine Rückbesinnung, Zeit für Mikroabenteuer. Sie lassen sich im durchoptimierten Arbeitsalltag bequem unterbringen, man kann mit immer neuer Outdoor-Ausrüstung bei den Kollegen punkten und wird zum Avantgardisten unter den Reisenden. Aber so möchte ich Mikroabenteuer auch nicht sehen.

Bei Wikipedia lese ich, dass der Begriff Abenteuer eigentlich aus den finsteren Tiefen des Mittelalters kommt. Er bezeichnete eine ernsthafte Unternehmung und noch besser: Diese Unternehmung sollte von kultureller Bedeutung sein. Sie steht eng in Zusammenhang mit den sogenannten Aventurien, einer säkularen, romanhaften Erzählform. Und das gefällt mir schon besser. Wenn es für das Abenteuer nicht von Bedeutung ist, ob es durch physische oder gedankliche Vorgänge ausgelöst wird, dann ist es das für das Mikroabenteuer auch nicht.

Maßgeblich ist für das Mikroabenteuer also nicht nur sein Regelwerk, sondern auch, was es bei mir als Mikroabenteurer auslöst. Es darf also auch vorrangig in meinem Kopf stattfinden und ich kann das Portemonnaie wieder zurück in den Schrank legen und mir den Weg zum Globetrotter sparen. Bevor ich nun aber dazu komme, was Mikroabenteuer für mich sind, möchte ich noch kurz auf die Lage zum Begriff in Deutschland eingehen.

Begriff in Deutschland

Hierzulande scheint nach meinen Recherchen der Sportler und Autor Christo Foerster ein echter Mikroabenteuer-Pionier zu sein. Er ruft mit seinem Projekt Raus und machen ganz im Sinne von Alastair Humphreys Mikroabenteuer dazu auf, nach draußen zu gehen und die eigene Bequemlichkeit ein Stück weit aufzugeben um etwas zu erleben.

Mehr zu seiner Person und den einzelnen Bereichen seines Projektes findest du auf seiner Webseite unter dem folgenden Link: Webseite von Christo Foerster

Meine Definition von Mikroabenteuer

Ich lasse den Ballast nun hinter mir und konzentriere mich auf das für mich Wesentliche. Ich schreibe hier gerne gegen den Konsum und darüber, dass der Kapitalismus im weitesten Sinne die Wurzel allen Übels ist. Auch wenn er in meinen Augen das Wesen der Menschen ganz gut repräsentiert. Deshalb die erste Regel. Ansonsten finde ich die Ideen von Christo Foerster zum Beispiel hinsichtlich der Anfahrt aber schon ganz gut und sie inspirieren mich.

Für Mikroabenteuer gelten folgende Regeln:

  1. Ein Mikroabenteuer kostet nichts. Das bedeutet auch, dass du dir nichts dafür anschaffst (tierleidfreies, regionales Essen und ein Ticket für die Öffis oder ein wenig Benzin fürs Auto oder Strom aus der Steckdose fürs E-Bike ausgenommen)
  2. Ein Mikroabenteuer findet im Umkreis von 100 Kilometern um den Ort herum statt, an dem du dich derzeit befindest – ich weiß, diese Regel ist sehr frei interpretierbar
  3. Ein Mikroabenteuer dauert weniger als 12 Stunden. Alles darüber ist eine Reise, Freunde!
  4. Ein Mikroabenteuer überschreitet eine Bequemlichkeitsgrenze. Das heißt, du tust etwas, das dir in irgendeiner Weise unangenehm ist. Dafür lassen wir das Gefährliche weg
  5. Ein Mikroabenteuer erzeugt einen neuen Gedanken in dir oder bringt dich auf eine neue Idee oder zu einer neuen Erkenntnis
  6. Eigentlich von Regel 1 abgedeckt, aber sicherheitshalber noch extra erwähnt: Eine geführte Aktivität oder ein organisiertes Outdoor-Event ist in meinem Sinne kein Mikroabenteuer, sondern weiterer Konsum!

Darüber hinaus bieten diese Regeln natürlich jede Menge Spielraum, um dir dein Erlebnis zu gestalten. Im Zentrum steht für mich dabei die Erfahrung, die in dir stattfindet. Und du merkst: Wenn du nach diesen Regeln spielst, kannst du ein Mikroabenteuer auch erleben, wenn du unter der Zimmerpflanze in deinem Wohnzimmer liegst und das Abenteuer in Gedanken erlebst.

Für mich persönlich ist der Einflussfaktor Natur und Outdoor jedoch ein wichtiger Aspekt eines Mikroabenteuers. Deshalb finden die Ideen, die ich dir hier oder in meinen Artikeln zum Thema zeigen möchte, allesamt im Freien oder in der Natur statt.

Einige Ideen für ein Mikroabenteuer

Verlassene Bunker suchen

Die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands ist zwar ein riesiger Haufen Scheiße, aber sie hat uns wenigstens ein paar Bunker in der Landschaft hinterlassen. Und Bunker eigenen sich ganz hervorragend als Ziel für Mikroabenteuer. Oft sind sie verlassen, kosten also keinen Eintritt. Man findet sie eigetnlich überall in Mitteleuropa.

Die Bequemlichkeitsgrenze überschreitest du, indem du ihr Inneres betrittst, indem du dir vor Augen führst, was die Existenz dieser Biester aus Stahlbeton bedeutet und warum es immer wieder wichtig ist, sich die Relevanz dieser Bauwerke klarzumachen. Nur weil es nun ein paar Jahre Frieden gab, heißt das nicht, dass die Scheiße nicht wieder passieren kann. Zeitgenossen sind immer munter dabei, die Werte von Gleichheit, Menschlichkeit und Frieden zu demontieren.

Und so wird auch gleich ein anderes Mikroabenteuerkriterium erfüllt. Bunker erzeugen einfach neue Gedanken und Ideen. Und die führen dann hoffentlich dazu, dass sich die Geschichte nicht ganz so schnell wiederholt.

Bunker in der Normandie
Bunker in der Normandie

Das Wetter als Mikroabenteuer

Ein wüstes Wetter kann in Windeseile jede Gelgenheit zum Mikroabenteuer machen. Zieh dir eine warme Jacke an und trete hinaus in den eisigen Wintersturm. Dann, wenn er seine größte Macht entfaltet. Spüre die Kraft der Elemente, fühl dich winzig und unbedeutend. Mit dem richtigen Wetter wird alles zum Mikroabenteuer. Du darfst dich nur nicht vor ihm verstecken.

Geh zum Beispiel bei Sturm im Winter an den Strand. Schaue zum Horiziont und spüre die Kraft der Luft, wie sie alles um dich herum vergessen macht. Wandere durch die Finsternis des Unwetters.

Am Strand bei Hegne am Bodensee
Am Strand bei Hegne am Bodensee

Die Berge in deiner Umgebung

Die Landschaft in deiner näheren Umgebung ist das beste Szenario für ein Mikroabenteuer. Ganz besonders dann, wenn du in einem der deutschen Mittelgebirge wohnst. Denn dann kannst du einfach wandern gehen. Und jede Wanderung ist im Grunde ein Mikroabenteuer. Lauf doch einfach mal von zuhause aus los und besteige den nächsten Berg. Nimm keine Karte mit und kein Telefon, lauf einfach los und versuche, ein Ziel zu finden.

Auf dem Bild sind Berge im südlichen Schwarzwald zu sehen.
Dieses Bild ist auf einer Wanderung ganz nahe von zuhause entstanden. Der Weg führt durch die wunderschöne Schwarzwald-Landsdchaft hinauf aufs Herzogenhorn, dem zweithöchsten Berg des Schwarzwalds. Mehr darüber erfährst du auf der Seite über das Herzogenhorn.

Mikroabenteuer in der Großstadt

Die besten Mikroabenteuer in der Großstadt erlebst du, wenn du dich einfach treiben lässt. Wenn du einfach raus gehst, ganz im Sinne von Christo Foerster. Setz dich in eine S-Bahn und fahr einfach bis zur Endstation. Dort steigst du aus und läufst los.

Diese Ruinen einer aufgegebenen Industrieanlage im Osten Berlins entdecke ich ganz genau so. Was hier wohl schon alles geschehen sein mag?

Ruinen bei Berlin
Ruinen bei Berlin

Schöne Bäume suchen

Eine meiner liebsten Arten von Mikroabenteuer ist das Suchen von schönen Bäumen. Mach dich auf den Weg und erforsche die Natur. Wo findest du schöne Bäume? Ich habe das Glück, in einer Wohnung mit Aussicht zu wohnen. Gelegentlich schaue ich aus dem Fenster und lasse den Blick über den Horizont schweifen. Manchmal fällt mir dabei ein Baum auf, der mir noch nie zuvor aufgefallen ist. Dann nehme ich mir vor, dass er zum Ziel meines nächsten Mikroabenteuers wird.

Das beste daran ist, wenn ich dann einige Zeit später an ebendiesem Baum stehe, dann kann ich zurückschauen. Auf den Ort, an dem ich mir das Vorhaben ausgedacht habe. Und so, wie ich die Perspektive meiner Betrachtung ändere, so kann ich vielleicht eines Tages die Perspektive auf mein Dasein ändern und aus den Strukturen und Verwinkelungen ausbrechen, die mich aufhalten auf dem Weg, ich selbst zu sein. Und dann sind es genau diese 12 Stunden, die zu den besten meines Lebens werden.